Nordthüringen
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Seit noch nicht einmal einem Jahr ist Birgit
Keller für die Partei DIE LINKE Landrätin im
Kreis Nordhausen. In den zurückliegenden
Monaten hat die auf den ersten Eindruck
recht unkonventionell erscheinende Gesell-
schaftswissenschaftlerin einige Neuerungen
in der Verwaltung angeschoben. Der WIRT-
SCHAFTSSPIEGEL sprach mit ihr über die
ersten Tage im Amt und ihren Standpunkt
zur Zusammenarbeit von Behörden auch
über Kreisgrenzen hinweg.
Wirtschaft stärken und
Menschen in Arbeit bringen
Wie erinnern Sie sich an die
ersten Wochen im neuen Amt?
„Das Amt war für mich nicht neu, da ich
seit 1994 Kreistagsmitglied war. Wie
das Amt der Landrätin funktioniert, war
mir natürlich so nicht bewusst. Die ers-
ten Wochen waren sehr anstrengend.
Den ersten Arbeitstag habe ich damit
verbracht, neue Menschen kennenzuler-
nen und ich bekam einen neuen Stem-
pel und alle Unterlagen, die ich an die-
sem Tag bearbeiten musste. In den
nächsten Tagen wollte ich dann alle
meine Nachbarn aufsuchen und mich
als neue Landrätin vorstellen. Das war
eine gut investierte Zeit. Ich habe mich
vorher jeweils über die Strukturen des
Amtes informiert, die sind sehr unter-
schiedlich und ich wusste, dass ich in
meinem Amt etwas umbauen möchte.
In der Folgezeit hatte ich auch sehr vie-
le weitere Antrittsbesuche, habe viele
Gespräche geführt und war jeden Tag,
einschließlich Sonntag, unterwegs.“
Welche Umstrukturierungen haben
Sie in Ihrem Amt vorgenommen?
„Ich hatte hier im Landratsamt 17 Fach-
bereiche. Das habe ich konzentriert, da
ich es als schwierig empfand, so die ge-
samte Struktur mit ihren mehr als 400
Mitarbeitern zu steuern. Seit Januar ha-
be ich acht Fachbereichsleiter und da-
für einzelne Bereiche zusammengelegt.
Eine der größten Umstrukturierungen
war die der Schulverwaltung, in dem
auch die Gebäudebewirtschaftung und
-verwaltung lagen. Das habe ich he-
rausgenommen und im Bereich Zentrale
Dienste bei der Landrätin angesiedelt.
Damit will ich auch bewirken, dass die
Schulverwaltung angesichts der Her-
ausforderungen des demografischen
Wandels mit der großen Aufgabe der
Schulnetzplanung beauftragt werden
kann. Weiterhin habe ich alle Haushäl-
ter der Fachbereiche in der Kämmerei
angesiedelt und sie damit konzentriert.
Wir müssen ein sehr restriktives Haushaltscontrolling
ausüben aufgrund unserer finanziellen Ausstattung,
da hilft diese Konzentration. Im Fordergrund all die-
ser Maßnahmen steht, die Verwaltung betriebswirt-
schaftlich zu steuern und gleichzeitig unseren Service
für Einwohner und Unternehmen zu verbessern. Dies
wollen wir beispielsweise mit dem Bürgerservice er-
reichen, den wir momentan aufbauen“
Schon in Ihrem Wahlkampf konsta-
tierten Sie, eine Landrätin für alle
sein zu wollen. Wie bringen Sie die
verschiedenen Interessen zusammen?
„Als neue Landrätin wurde ich natürlich
skeptisch beobachtet. Das halte ich
auch für legitim. Aber die Interessen
von Wirtschaft und Arbeitnehmern sind
gemeinsame Interessen. Alle sind von-
einander und untereinander abhängig.
Kein Unternehmer kann ohne Arbeit-
nehmer seine Ziele verfolgen und um-
gekehrt sind Arbeitnehmer auf Unter-
nehmer angewiesen. Da sehe ich meine
Aufgabe, beides zusammen zu bringen.
Wenn ich meinen Sozialhaushalt entlas-
ten möchte, kann ich das nur tun, indem
ich die Wirtschaft stärke und mehr Men-
schen in Arbeit bringe.“
Sie befürworten auch eine
Gebietsreform. Wie können Sie
sich das vorstellen?
„Die Frage der Gebietsreform wird für
mich immer zu verkürzt dargestellt. Ich
sage, dass wir als erstes die Mittelbe-
hörden abbauen müssen, die das Land
zu verantworten hat. Gleichzeitig finde
ich, mit Blick auf eine mögliche Ge-
bietsreform, müssen die Gemeinden ge-
stärkt werden. Sie müssen auch unter
erweiterten Kreisgrenzen bürgernah
agieren können. Wenn sich die Bürger
durch ihre Gemeinde vertreten fühlen
und ihre Aufgaben in der Nähe erledi-
gen können, sind Kreisgrenzen egal.“
Aus wie vielen Kreisen kann
Thüringen dann einmal bestehen?
„Für meine Begriffe gibt es Erfahrungen
in anderen Ländern, die nicht unbedingt
die besten sind. Ich kann mir gut vor-
stellen, aus zwei Landkreisen einen zu
machen. Ich kann mir auch vorstellen,
dass es Landkreise gibt, die in ihrer jet-
zigen Struktur so gut arbeiten, dass sie
eigenständig bleiben können.“ (su)
I
Das Gespräch führte Daniel Bormke
Foto: Sascha Uthe
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